Der Ich-Erzähler ist ein Schweizer Autor, der in Chicago lebt, um ein Buch über die Pullman-Wagen zu schreiben. Er lernt in der Universitätsbibliothek die wesentlich jüngere und erstaunlich einsame Physikstudentin Agnes kennen, sie zieht recht bald zu ihm, doch erscheint alles recht unverbindlich und distanziert. Gedoppelt wird die Beziehung, indem er sie literarisch nach- und vorzeichnet, indem er sie schreibt. Teilweise leben sie das Geschriebene nach, teilweise leben sie es vor, auch das Ende wird dadurch stark beeinflusst. Die durch ein gemeinsames Kind, das im Entstehen ist, entstehende Frage nach dauerhafter Verbindlichkeit zerreißt die Beziehung zwischen den beiden zunächst wieder - das Ende will ich hier jedoch nicht erzählen, auch wenn der Roman mit den Worten: „Agnes ist tot“ beginnt - was natürlich nicht auf ein glückliches Ende hinweist.
Im baden-württembergischen Zentralabitur ist der Roman als Parallwerk zum „Homo Faber“ Max Frischs vorgesehen - dem er in meinen Augen nicht ganz das Wasser reichen kann, auch wenn es sich aus einer ähnlich gelagerten Quelle speist. Doch insgesamt halte ich beide Werke durchaus für schultauglich, zumal ich lieber bei einem 153 Seiten starken Werk in die Tiefe gehe, als mit über 700 Seiten in die Breite gehen zu müssen, wie es in dem letzten Abitur in NRW der Fall war.
Ein Motiv, das beide Romane intensiv behandeln, ist die Frage nach Bild und Wirklichkeit - schöne Denkanstöße bietet da die folgenden Textpassage:
Wir gingen ins Art Institute of Chicago und suchten, ob wir ein Nebel- oder Rauchbild fänden oder ein Bild von glücklichen Menschen. Vor Seurats Un Dimanche d'été à l'Ile de la Grande Jatte blieben wir lange stehen. [...] Als wir näher traten, zerfiel das Bild vor unseren Augen in ein Meer von kleinen Punkten. [...] Jede Fläche enthielt alle Farben und wirkte erst aus der Distanz als Ganzes. Das bist du, sagte ich und zeigte auf ein junges Mädchen. (S. 68f.)
Ob Schule oder nicht: ein lesenswertes Buch.
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